Pressemitteilung vom 14. Oktober 2010

 

Stuttgart 21 bringt der Region Karlsruhe keine Vorteile

 

Wenig überrascht zeigen sich die Karlsruher grünen Landtagsabgeordneten Gisela Splett und Renate Rastätter vom Plädoyer ihres CDU-Kollegen Manfred Groh für Stuttgart 21. Seine Interpretation einer „Jahrhundertchance" sei geprägt von Vasallentreue für Ministerpräsident Mappus und verkenne die Interessen und Bedürfnisse des badischen Landesteils.

 

Bezeichnend sei, dass Herr Groh als eines der ersten und konkretesten Argumente den schnelleren Anschluss an den Flughafen Stuttgart benennt. Dieses von Herrn Groh angeführte Argument relativiere sich schon durch einen Blick in die Fahrplanauskunft der Bahn: Bereits heute kommt man von Karlsruhe umsteigefrei in 57 Minuten zum Frankfurter Flughafen. Im Übrigen sei die Anbindung an den Flugverkehr nicht die wichtigste Aufgabe beim Ausbau des Schienenverkehrsnetzes.

 Auch andere genannte Reisezeitgewinne seien mit Vorsicht zu genießen bzw. ergeben sich nur, wenn man „Äpfel mit Birnen" vergleicht, z.B. den IC durch den TGV ersetzt und von optimalen Anschlüssen ausgeht. Das tatsächliche Betriebskonzept sei aber streng geheim, so dass niemand wisse, inwieweit Reisezeitgewinne in der Realität zu erreichen seien.

 

Fest stehe allerdings, dass die Investitionsmittel begrenzt sind und es eine Reihe von Infrastrukturprojekten gibt, bei denen die Mittel deutlich mehr ökologischen und ökonomischen Nutzen generieren. So habe der Ausbau der Rheintalbahn für die Region Karlsruhe eine hohe Bedeutung und schaffe die Möglichkeit, endlich mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen. Doch Geld könne man eben nur einmal ausgeben. „Große Teile der Bevölkerung haben verstanden, dass das Geld, das für Stuttgart 21 ausgegeben soll, für andere Projekte fehlt – und den Schuldenberg der öffentlichen Haushalte erhöhen wird." Ein Zusammenhang bestehe beispielsweise auch zu den fehlenden Fördermitteln für die Beschaffung von Schienenfahrzeugen, die der Karlsruher Gemeinderat jüngst beklagt hat: Stuttgart 21 wird vom Land nämlich zu einem großen Teil aus den gleichen GVFG-Mitteln finanziert, die man im Rahmen der Zweckbindung für öffentlichen Nahverkehr auch für die Förderung bei der Beschaffung von Schienenfahrzeugen nutzen könnte.

 

Was die Magistrale Paris – Budapest angeht, halten Splett und Rastätter die Bedeutung von Stuttgart 21 für deutlich überschätzt: Real bestehe keine Gefahr, dass der Verkehr von Paris nach München über andere Strecken umgeleitet werde, weil er dort immer langsamer wäre als auf der Strecke über Karlsruhe. „Für eine schnellen Ost-West-Eisenbahnverbindung durch Deutschlands Südwesten, braucht man keine Untertunnelung des Stuttgarter Hauptbahnhofs", sind sich Splett und Rastätter sicher. Wichtig seien hingegen der Ausbau der Appenweierer Kurve und die rasche Verwirklichung des Rastatter Tunnels. Hier müsse die Landesregierung endlich auf die „Tube drücken".

 

Splett und Rastätter fordern Groh auf, die in den Raum gestellte Zahl von 17.000 neuen Arbeits-plätzen zu belegen. „Uns erschließt sich diese Zahl nicht. Selbst die schwarz-gelbe Bundesregierung kommt in ihrem Monatsbericht Juli 2010 über „Wachstumsaspekte von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen im Rahmen einer gestaltenden Finanzpolitik" zur Erkenntnis: Es konnte dagegen keine empirische Evidenz für direkte Beschäftigungseffekte von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen gefunden wer-den. Simulationen mit dem RWI- Konjunkturmodell deuten allenfalls auf relativ geringe Effekte hin."

 

Einig sind sich Splett und Rastätter mit ihrem Kollegen Groh, dass die Wirtschaftlichkeit bei Großprojekten eine entscheidende Rolle spielt. Anders als der CDU-Kollege kommen sie bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 aber zu völlig anderen Ergebnissen. Die Kostensteigerungen für Stuttgart 21 sind schon vor Beginn der Bauarbeiten immens. Stuttgart 21 - einst gestartet mit Kosten von 2,5 Mrd. € - ist heute bei 4,1 Mrd. € gelandet. Zum Zeitpunkt der Finanzvereinbarungen zwischen den Trägern lag es noch bei 3,1 Mrd. € und wurde dabei mit einem Risikofonds für Kostensteigerungen von 1,4 Mrd. € flankiert. „Wer die Grundrechenarten beherrscht, wird zum Ergebnis kommen, dass bereits jetzt von diesem Risikofond nicht mehr viel übrig ist." Gleichzeitig überschätze Kollege Groh die Ausstiegskosten. Die genannte Summe von 1,4 Mrd. € sei nicht belastbar und stehe im Widerspruch zu Berechnungen von Experten: so habe Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, nachgerechnet und eine Summe von höchstens 400 bis 500 Millionen Euro ermittelt.

 

„Baukosten kleinrechnen, Ausstiegskosten großrechnen – davon haben die Bürgerinnen und Bürger genug." Die Menschen in Stuttgart wissen, warum sie auf die Straße gehen, sind Splett und Rastätter überzeugt. Das Projekt Stuttgart 21 lehre, dass derartige Großprojekte transparenter und mit besserer Bürgerbeteiligung geplant werden müssen. Splett und Rastätter verteidigen deshalb auch vehement das Recht der BürgerInnen auf Protest und bedauern, dass entgegen der Verlautbarung von Groh, wonach Stuttgart 21 die Stadt zusammen wachsen lasse, die Politik der Landesregierung zu einer tiefen Spaltung in der Stadt geführt habe.